Eine israelische Oper in Frankfurt
„An unserem Fluss“: Die Frankfurter Oper hat einen israelischen Komponisten gebeten, eine Oper über den Nahostkonflikt zu schreiben. Das Ergebnis ist ein Plädoyer für mehr Dialog.
Ein Konflikt, der Nachbarn zu Feinden gemacht hat – und zwei Jugendliche, die sich dennoch verlieben. Mit „An unserem Fluss“ greift die Oper Frankfurt den Nahostkonflikt auf, ohne eine Seite allein verantwortlich zu machen. Vielmehr zeigt der israelische Komponist Lior Navok, geboren 1971 in Tel Aviv, die Figuren als Gefangene in einem Kreislauf aus Angst, Rache und Intrigen. Er schrieb und komponierte das Stück im Auftrag der Oper Frankfurt; Ende Mai wurde es dort uraufgeführt. Intendant Bernd Loebe spricht über die Auftragsarbeit, Verantwortung des Kunstbetriebs und eine mögliche Aufführung in Israel.
Herr Loebe, Sie kannten den israelischen Komponisten Lior Navok durch seine Kinderopern „Die kleine Meerjungfrau“ und „Pinocchios Abenteuer“, die Sie bei sich am Haus uraufführten. Wie kam es, dass Sie ihn um eine Oper zum Nahostkonflikt baten?
Der Nahostkonflikt ist ein Thema, das einen auch in Deutschland – nicht nur durch die Tagesschau – fast täglich begleitet. Es lässt einen immer wieder Ohnmacht spüren. Mir kam die Idee, dass man den Konflikt einmal durch Kinderaugen betrachten könnte. Ähnlich wie bei „West Side Story“ von Leonard Bernstein oder „Romeo und Julia“ anhand einer Liebe zwischen zwei jungen Menschen aus verschiedenen Lagern. Ich fragte Lior Navok, ob er sich das vorstellen könnte. Ursprünglich war eine Kinderoper angedacht. Beim Komponieren zeigte sich, dass wir professionelle Sänger aus unserem Ensemble brauchten.
Lior Navok hatte zunächst nach einem Theaterstück oder einer Geschichte als Basis für seine Oper gesucht. Weil er nichts Passendes fand, schrieb er selbst das Libretto. Ist dieses Nicht-Vorhandensein eines Narrativs typisch für den Nahostkonflikt?
Als ich noch in Brüssel gearbeitet habe, sind wir mit der Kammeroper „Der Kaiser von Atlantis“ von Viktor Ullmann nach Tel Aviv gefahren. Dort haben wir gespürt, welche Berührungsängste es immer noch mit dem Thema Auschwitz gibt, aber auch mit dem Thema Gewalt und Krieg, und vielleicht sogar damit, Schuldige zu finden. Ich glaube, das ist nach wie vor ein sensibles Thema in Israel. Ich hatte gehofft, dass wir für „An unserem Fluss“ auch noch einen palästinensischen Librettisten finden würden, um beide Seiten zu spiegeln. Doch dazu kam es nicht. Vielleicht hatte Lior Navok befürchtet, dass das in Israel nicht für gut befunden würde. Dabei wäre diese Oper ein Stück, das man sehr gut in Tel Aviv spielen könnte. Und auch in Ramallah.
Wäre das nicht ein ideales Stück für das Orchester des West-östlichen Divans von Daniel Barenboim? Das Orchester besteht zu gleichen Teilen aus israelischen und arabischen Musikern.
Ich kenne Daniel Barenboim sehr gut und er weiß von unserem Stück. Ich denke, eine Aufführung wäre interessant für ihn, wir könnten ihm das Stück zur Verfügung stellen. Die Versuche mit seinem Orchester, die international großen Anklang finden, sind in Israel umstritten. Unsere Inszenierung ist aber ja im positiven Sinne eher besinnlich, eine objektivierende Bearbeitung des Werkes, die sich nicht auf eine Seite schlägt.
In Jahr 2015 bestehen die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel seit 50 Jahren. Zudem wurde der 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz begangen. Sie hatten in diesem Jahr zwei Stücke im Programm, die sich mit jüdischer beziehungsweise israelischer Geschichte auseinandersetzen: „Die Passagierin“, ein Stück über Auschwitz, und jetzt „An unserem Fluss“. Ist das Zufall?
Ich mache eigentlich immer Umwege um runde Zahlen und versuche, ein kluges Programm zu machen. Aber die Erinnerung an Auschwitz müssen wir so lange wie möglich wachhalten. Dort sind Dinge geschehen, die einen sprachlos machen. Das darf nicht in Vergessenheit geraten. Ich denke, das sollte jedem Kulturschaffendem im Blick bleiben.
Kann eine Oper mehr leisten als Fernsehnachrichten?
Sicher. Nach einer Diskussion zu „Die Passagierin“ sagte mir eine alte Dame, dass die Musik etwas könne, was das Wort nicht leisten kann: Das Unsagbare ausdrücken. Sie hatte die Lager selbst erlebt. Ich glaube, wenn man einzelne Geschichten erzählt, werden einem die Dinge wieder bewusster.
In „An unserem Fluss“ finden die Figuren auf der Bühne keinen Ausweg aus dem Konflikt. Ob die beiden Jugendlichen einen Platz für ihre Liebe finden, bleibt unklar. Was kann Oper in einem Konflikt wie dem Nahostkonflikt bewirken?
Wir können mit der Oper signalisieren, dass wir das Problem erkennen. Dass wir einen israelischen Komponisten haben, steht für eine gewisse Authentizität. Wir können das Publikum etwas wacher machen und vielleicht dazu beitragen, dass der Konflikt etwas differenzierter gesehen wird. Ich denke, dass wir Opernmacher auch Theatermenschen sind und die Pflicht haben, Dinge von heute zu kommentieren. Die Ausgangssituation von „An unserem Fluss“ ist der Nahostkonflikt. Es ging dem Komponisten aber um eine allgemeingültigere Aussage, eine Art Parabel über Gewalt und Konflikte der Welt.
Lior Navok, 1971 in Tel Aviv geboren, ist Komponist. Seine Musik wurde bereits vom Israel Philharmonic Orchestra und der NDR Radiophilharmonie gespielt, in der Carnegie Hall und der Berliner Philharmonie. 2009 inszenierte die Oper Frankfurt seine Kinderoper „Die kleine Meerjungfrau“ und 2010 „Pinocchios Abenteuer“.
Bernd Loebe, geboren 1952, arbeitete nach einem Jurastudium und einem privaten Klavierstudium als Musikjournalist. 1990 ging er als Künstlerischer Direktor an das Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel und arbeitet seit 2002 als Intendant der Oper Frankfurt. Bereits nach seiner ersten Spielzeit als Intendant wurde sein Haus von der „Opernwelt“ zum „Opernhaus des Jahres“ gewählt. Loebe ist Vorsitzender der Deutschen Opernkonferenz.