Biker nach Berlin
Europäische Makkabi-Spiele 2015: Das Feuer für die „jüdische Olympiade“ wird von Motorradfahrern von Tel Aviv nach Berlin gebracht.
Die Flamme brennt ruhig, der Kasten sitzt fest. Elen Katz kann kein Risiko eingehen – nicht auszudenken, was wäre, wenn ihm Fahrtwind oder Regen die Flamme auspusteten. Die Flamme, mit der am 28. Juli in Berlin die Fackel der Europäischen Makkabi-Spiele 2015, der größten jüdischen Sportveranstaltung Europas, entzündet wird.
Seit dem 7. Juli ist der bekannteste Biker Israels unterwegs, führt einen Konvoi aus elf Motorradbegeisterten an. Auf dem Landweg von Griechenland über Bulgarien, Rumänien, Serbien, Ungarn, Tschechien, Polen und Österreich bis nach Berlin geht die Fahrt. Dort treten vom 28. Juli bis zum 5. August 2.300 Athleten aus 36 Ländern in 19 Disziplinen gegeneinander an.
„Ich bin der erfahrenste Biker Israels“, erzählt Katz wenige Tage vor seiner Abfahrt ruhig und selbstbewusst in einem Tel Aviver Café. Er spricht in fließendem Deutsch – sein Vater stammte aus Wien. Auf der Tischplatte zeichnen seine riesigen Hände eine Weltkugel. Hier und hier und hier sei er schon gewesen. In 56 Ländern alleine mit der „Voo-do“, seiner jetzigen Maschine, der mit dem Zebramuster. Simon Peres unterstützte ihn mit einem persönlichen Schreiben, das er an diversen Grenzen vorzeigen musste. Das Foto mit Peres auf dem Motorrad ist seitdem in Katzʼ Handy gespeichert. Doch seine Erfahrung als Motorradfahrer ist nur ein Grund dafür, dass er im offiziellen Konvoi fährt.
Der zweite Grund ist seine Familiengeschichte, die eng mit der Geschichte der Makkabiade verknüpft ist, jener internationalen jüdischen Sportveranstaltung, die 1932 zum ersten Mal ausgetragen wurde. Katz kennt diese Familiengeschichte noch nicht lang. Eine Filmemacherin, Catherine Lurie, hatte ihn auf die Idee gebracht, ins Makkabiade-Museum in Ramat Gan zu gehen. Im Hinterkopf hatte er einen diffusen Erinnerungsfetzen, dass sein Großvater einmal von Warschau nach Palästina gefahren war und irgendetwas mit der Makkabiade zu tun gehabt hatte. Vater und Mutter konnte er nicht mehr fragen, sie waren früh gestorben.
Tatsächlich waren in den frühen 1930er-Jahren elf jüdische Biker quer durch Europa gefahren, um auf die Makkabi-Spiele unter britischem Mandat in Palästina aufmerksam zu machen, um Athleten zu begeistern und – auch wenn das nicht offiziell war – um viele zum Emigrieren zu ermuntern.
Im Makkabiade-Museum sieht Katz ein altes Schwarz-Weiß-Foto, auf dem ihm der Mann in der ersten Reihe rechts bekannt vorkommt. Er heißt Nathan Blumenthal. „Ich dachte mir, den hab ich schon mal gesehen“, erinnert sich Katz. Im Familienfotoalbum seiner Mutter findet er den gleichen Mann. Und den Mädchennamen seiner Mutter: Aviva Blumenthal. Am nächsten Tag ist Katz zurück im Museum.
Nathan Blumenthal war vor über 80 Jahren einer der legendären elf Biker, die in ganz Europa auf Makkabiade-Promo-Tour waren. „Ich habe die DNA von meinem Opa geerbt“, ruft Katz und strahlt. Dann wechselt er zurück in den Bikermodus: „Wenn man überlegt, dass die ohne Asphaltstraßen und unter harten Bedingungen gefahren sind, hat man noch viel mehr Respekt.“ Jetzt ist ein Foto seines Großvaters im gleichen Handy-Album wie das mit Simon Peres gespeichert.
Katz nimmt mit dem offiziellen Konvoi dieselbe Route, die sein Großvater damals fuhr. Mit ihm fahren Biker, von denen jeder selbst eine lange Geschichte zu erzählen hätte. Es sind Enkelinnen von Holocaust-Überlebenden dabei, die Familie eines Australiers war am Warschauer Aufstand beteiligt. Der älteste Fahrer, ein 78-jähriger Pole, wird an der Stelle vorbeifahren, an der ihn seine Mutter auf dem Weg ins Konzentrationslager aus dem Zug geworfen hat.
Den Rückweg will Elen Katz nicht fahren, stattdessen fliegen die „Voo-do“ und er zurück nach Israel. Dabei ist es nicht so selbstverständlich, dass er überhaupt noch fliegt, denn vor zwölf Jahren ist er über Südafrika mit einem Flugzeug abgestürzt. Dies ist noch so eine Geschichte, die er gerne erzählt: „Als ich am Ufer lag, hab ich gedacht: Ich bin 40 und habe das hier überlebt, jetzt ist es Zeit für Familie.“ Auf der nächsten Party sieht er eine schöne, große Frau. „Ich habe sie angesprochen und gesagt: Hey, wir sind beide groß, warum sind wir kein Paar?“ Inzwischen sind sie ein Paar, haben zwei gemeinsame Söhne. Die sich vielleicht später auch einmal für Motorräder und Makkabiaden interessieren. Auf jeden Fall werden sie wissen, wo die DNA herkommt.