Auftakt zum Young Euro Classic
Das Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar eröffnet das Festival der Jugendorchester 2015.
„Ja, jetzt habt ihr’s.“ Zufrieden lehnt sich Michael Sanderling zurück, als der letzte Ton verklungen ist. Vor dem Chefdirigenten der Dresdner Philharmoniker sitzt ein ungewöhnliches Orchester: 70 Musikstudenten aus Jerusalem und Weimar, die sich für eine Saison zum „Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar“ zusammengefunden haben. Nur sieben Probentage bleiben ihnen, um das Konzertprogramm zu erarbeiten und sich aufeinander einzustimmen. Denn die Studenten der Jerusalem Academy of Music and Dance und der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar spielen zum ersten Mal zusammen. Schon am 6. August werden sie beim internationalen Jugendorchesterfestival Young Euro Classic das Eröffnungskonzert im ehrwürdigen Konzerthaus Berlin geben, das auch noch bundesweit ausgestrahlt wird.
An diesem Vormittag wird im schmucklosen Probenraum der Staatskapelle Weimar an Dmitri Schostakowitschs schwierigem ersten Cellokonzert gefeilt. Michael Sanderling unterbricht immer wieder, erklärt und singt vor, wie er sich bestimmte Stellen vorstellt; hat „schlechte Nachrichten für die Geigen“ und genau gehört, „dass jemand zu früh dran war“. Leise und bestimmt dringen Lob wie Kritik zu den Studenten. Die lauschen aufmerksam, schreiben mit Bleistift in ihre Noten, besprechen flüsternd, wie man das vom Dirigenten Gewünschte umsetzen kann. Ansonsten herrscht stille Konzentration, erst in der Pause kommen wieder Lachen und Gespräche auf.
Der Bratschist Lucas Freund aus Weimar ist zum ersten Mal dabei. Für den 25-Jährigen ist es spannend, dass hier Musiker aus verschiedenen Kulturen aufeinandertreffen, die gleichzeitig vieles eint: „Wir haben die gleiche Sprache – die Musik –, das gleiche Ziel, die gleichen Noten.“ Dass es keine Berührungsängste gibt, gefällt ihm besonders gut. Das ist auch eines der Ziele des Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar: junge Menschen aus Israel und Deutschland zusammenzuführen mit der Musik als Mittel, um Barrieren zu überwinden und Brücken zu bauen.
Dieses Orchester auf Zeit, das sich im Zwei-Jahres-Rhythmus nun zum dritten Mal formiert, hat im Jahr 2015 einen ganz besonderen Symbolcharakter. „Ein passenderes Geschenk zum 50. Jahrestag kann ich mir nur schwer denken“, erklärt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier im Programmheft des Orchesters, mit Blick auf die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel 1965. Für die jungen Musiker wie Lucas Freund ist die Vergangenheit natürlich präsent, zumal sie gemeinsam das ehemalige KZ Buchenwald besuchen werden, Aber sie soll keine Belastung sein, meint Freund, ebenso wenig wie der Anspruch, ein Orchester der Versöhnung zu sein: „Wir reden über alles, das ergibt sich spontan.“
Das Orchester gab sein erstes Konzert am 2. August in Weimar, danach konzertiert es in Berlin – beim Young Euro Classic –, in Chorin und Wolfsburg. Im Oktober spielen die jungen Musiker dann in Israel: in Rishon LeZion, Jerusalem und Tel Aviv. Die Werkauswahl hat Michael Sanderling mitbestimmt: Von Kurt Weill die 2. Sinfonie – „während er daran schrieb, musste er aus Deutschland fliehen“. Schostakowitsch, so Sanderling, „hatte mehr zu leiden als nur unter dem, was die Deutschen zu verantworten haben“. Dazu kommt eine Uraufführung des israelischen Komponisten Ziv Cojocaru. In „Links. Metamorphosis“ will er die Interaktionen, die Verbindungen zwischen Menschen, Gruppen, Kulturen zum Klingen bringen. Und als „Blockbuster fürs Publikum“ (Sanderling) steht schließlich auch Peter Tschaikowskys „Fantasie-Ouvertüre Romeo und Julia“ auf dem Programm.
Sie steht an diesem Vormittag auch auf dem Probenplan. Ohne Unterbrechung wird sie durchgespielt, Michael Sanderling findet vieles schon gelungen. Doch dann kommt die Feinarbeit für die Musikstudenten. Die Proben mit dem Dirigenten sind für die 24-jährige Nina Loeterman aus Jerusalem „wunderbar, ich lerne eine Menge“. Die Bratscherin findet die Orchesterarbeit hier „professioneller, in einer ernsthafteren Atmosphäre“ als daheim in Jerusalem. Auch für sie ist das Zusammentreffen zweier Kulturen, die „sich koordinieren müssen“, interessant. Zum ersten Mal in Deutschland, erkundet sie in der probenfreien Zeit die Stadt Weimar („sehr romantisch“), besucht Konzerte anderer Musiker oder geht einfach bummeln.
Nach anfänglichem Zögern finden die Studenten auch außerhalb der Musik zusammen, hat die Flötistin Anat Nazarathy gemerkt: „In den beiden ersten Tagen gab es einen israelischen Zirkel und einen deutschen. Nun aber mischen sich die Gruppen – und wir sehen uns ja in Israel wieder.“ Auch Nazarathy ist vom Dirigenten begeistert: „Er kann genau erklären, was er will und wie es geht; er weiß, wovon er redet.“ Michael Sanderling selbst, der das deutsch-israelische Orchester jetzt zum zweiten Mal leitet, stellt eine ganz andere Veränderung fest: „Vor zwei Jahren war die Aufregung, dass man so etwas macht, viel größer.“